Das Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG), das im Juli 2023 in Kraft trat, sieht eine sog. Lieferengpass-Pauschale für Apotheken vor. Hintergrund hierfür sind die dramatischen und auch heute immer noch anhaltenden Lieferengpässe von Arzneimitteln. Nach der gesetzlichen Regelung müssen die Apotheken aber bei der Suche nach lieferfähigen Arzneimitteln gewisse Kriterien erfüllen. Unter anderem muss bei zwei Großhandlungen eine Abfrage nach dem Arzneimittel erfolgen, und bei dem Austausch durch ein alternatives Arzneimittel muss hinsichtlich Stärke oder Überschreitung der Menge der Arzt eingebunden werden.
Für den Aufwand, der zwischen 5 Minuten, aber auch oft genug wegen des Wartens in der Warteschleife bei der Arztpraxis bis zu 20 Minuten oder auch länger dauern kann, billigt der geänderte § 3 Abs. 1a der Arzneimittelpreisverordnung den Apotheken jeweils einmalig 50 Cent netto pro Vorgang zu, was 60 Cent inklusive Mehrwertsteuer entspricht.
Daniela Hänel, 1. Vorsitzende der Freien Apothekerschaft: „Die Aversion des Ministers gegen Apotheken tritt hier unverblümt zutage. Bei einem Zeitaufwand von 2,5 Minuten arbeiten wir bereits unter Mindestlohn. Bei Anfragen in Arztpraxen, die gerne mal 15-20 Minuten dauern können, bis man den Arzt persönlich erreicht, müssen wir diese Aufgabe dann für sage und schreibe 1,50 Euro pro Stunde erfüllen, und die netto 50 Cent müssen ja auch noch versteuert werden. Die Pauschale dürfen wir als Geringschätzung in Form von Almosen des Ministers bezeichnen. Wer in Deutschland arbeitet für 1,50 pro Stunde?“
Der Vorstand hat sich daher an die Kanzlei Brock Müller Ziegenbein gewandt, die die Freie Apothekerschaft bereits in anderen rechtlichen Angelegenheiten vertritt. Ein Antrag nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) soll Klarheit bringen, wie die Lieferengpass-Pauschale berechnet wurde. Der Antrag wurde am 29. Mai 2024 an das Bundesgesundheitsministerium übersandt.
Hänel: „Dass Bundestagsabgeordnete, die für dieses Gesetz ihre Hand gehoben haben und sogar Mitglied des Gesundheitsausschusses sind, uns nicht erklären können, wie der Betrag zustande kommt, ist ein unbegreiflicher Zustand und zeigt die Willkür, die gegenüber den Apotheken in diesem und anderen noch abzustimmenden Gesetzen wie der sog. Apothekenreform ausgeübt wird.“
Hänel weiter: „ Auch werden gerade in letzter Zeit anderen Berufsgruppen gegenüber seitens der GKV mit Billigung des Ministeriums und trotz angeblicher leerer Kassen mehrfach finanzielle Zugeständnisse gemacht. Nur die Apotheken gucken seit 20 Jahren in die Röhre.“
Der Bundesverband hatte bereits im Dezember 2023 über ein Mitglied des Deutschen Bundestages eine kleine Anfrage an das BMG zur Lieferengpass-Pauschale gestellt. Die Antwort des parlamentarischen Staatssekretärs Prof. Dr. Edgar Franke liest sich für die Freie Apothekerschaft wie eine Provokation des Ministeriums. Zitat: „Ausweislich der Gesetzesbegründung zum Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfung- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG) (BT-Drs. 20/6871) stellt die Apothekenvergütung nach § 3 Absatz 1 der Arzneimittelpreisverordnung eine Mischkalkulation dar, in der grundsätzlich sämtliche Tätigkeiten und Aufwände der Apotheken, die mit der Abgabe von Arzneimitteln verbunden sind, berücksichtigt werden. Hierzu gehört grundsätzlich auch der Umgang mit Lieferengpässen von verschriebenen Arzneimitteln. Aufgrund der zunehmenden Anzahl von Arzneimittellieferengpässen kommen zu den bereits bestehenden Aufwänden weitere hinzu, die bislang nicht hinreichend berücksichtigt wurden. Der mit dem ALBVVG neu eingeführte Zuschlag in Höhe von 50 Cent soll der zusätzliche Aufwand der Apotheken honoriert werden, der sich insbesondere in Rücksprachen mit den verschreibenden Ärztinnen und Ärzten oder in Nachfragen beim pharmazeutischen Großhandel niederschlägt.“
Hänel: „Also noch mehr Aufgaben ohne Bezahlung? Wenn es rechtliche Möglichkeiten gibt, werden wir dagegen vorgehen!“
Der IFG-Antrag zur Lieferengpass-Pauschale muss vom Ministerium innerhalb von 4 Wochen beantwortet werden, unter anderem zu den Fragen der Berechnungsgrundlage, welche Erwägungen der konkreten Höhe zugrunde liegen und ob das Ministerium meint, dass der Zuschlagsbetrag dem Mehraufwand der Apotheken gerecht wird.